Berlin am letzten Augustwochenende des Jahres 1999 — ein großer
Erlebnispark: IFA, Hanfparade, die lange Nacht der Museen und ein
Heimspiel von Hertha BSC. Am Rande der Massenattraktionen fand ein
Medienfestival statt, das sich Mühe gab, die Aufmerksamkeit auf sich zu
lenken: Berlinbeta - Konferenz, Filmfestival und Clubevent zugleich.
Neben den üblichen Themen wie Finanzen, Marketing und Design im
Mediensektor behandelte ein Konferenzschwerpunkt die "mediale
Architektur des Informationszeitalters". Damit wurde einer Reihe von
Projekten und Agenturen an der Schnittstelle zwischen Kunst, Architektur
und Technologie Gelegenheit gegeben, ihre Arbeiten und Visionen zu
präsentieren. Die freie Kuratorin Francesca Fergueson hat eine
interessante Wahl getroffen.
Ein Kunstkritiker vermerkte kürzlich spöttelnd, den Sieg der Architektur
über die Kunst. Kunst sei bestenfalls Innenausstattung und die meisten
Galerien allenfalls prämuseale Einrichtungen. Noch einen obendrauf
setzten die Chefredakteure der Zeitschrift "neue bildende kunst", indem
sie der Biennale von Venedig bescheinigten, sie habe endgültig
aufgehört, für die medialen und kommunikativen Strategien der
künstlerischen Gegenwart einen adäquaten Rezeptionsrahmen abzugeben.
Matthias Flügge und Michael Freytag hatten die Biennale in Verdacht,
"Mausoleen eines vergangenen Repräsentationsbegriffs" zu sein. Kunst
oder das, was man noch dafür hält, erleidet in letzter Zeit häufig
schmerzliche Niederlagen. Als bei der Ars Electronica dieses Jahres das
Betriebssystem Linux ausgezeichnet wurde, löste das eine erregte Debatte
aus, die in der Frage kulminierte: Ist Technik Kunst?
Die Architektur spielt auf diesem Feld eine besondere Rolle. Seit jeher
geht sie eine enge Verbindung mit Technik und Kunst ein. Dass
elektronische Medien in der Architektur eine enorme Rolle spielen
werden, ist offenbar. Häuser und Gebäude der Zukunft werden mit Chips
und Sensoren gespickt sein. Und seit bekannt ist, dass es im Haus von
Bill Gates in die Wände eingelassene Projektionsflächen gibt, die den
Gästen ihre liebsten Kunstwerke vorführen, ist es wohl nur eine Frage
der Zeit, bis solche Produkte einer zunehmend digitalisierten Kultur
auch in deutschen Reihenhäusern ihren Platz finden.
Peter Cook, Bartlett-Professor und Leiter für Architektur am University
College London, leitete die Konferenz mit einer Tour de force durch die
Architektur des 20. Jahrhunderts ein. Einer ihrer Aufgaben sah er darin,
das menschliche
Wahrnehmungsvermögen beständig auf die Probe zu stellen und zu
erweitern. Cook hielt eine leidenschaftliche und unterhaltsame Rede,
gefüllt mit Spitzen gegen den akademischen Betrieb und konservative
Architekturkritiker. In diesen Kreisen verliere man sich gerne in
Spekulationen über die französische Philosophie, von wirklichen
Erfahrungen und Herausforderungen dagegen halte man wenig. Sein
subjektiver Überblick endete mit einem Plädoyer für Frank Gehrys
Guggenheim Museum in Bilbao. Mit dem Ausruf "Architecture can fight
back" zollte er diesem eindrucksvoll verschachtelten, in sich
verschobenen, sich drehenden und wendenden, silber glitzernden Bau seine
Bewunderung. Architektur als Medium, das die Gegenwart überdauert und
überschreitet.
Einfache Spielarten medialer Architektur stellte Christian Möller vor,
der als Architekt und Medienkünstler in Frankfurt lebt und sich
vornehmlich mit der Entwicklung von intelligenten Umgebungen
beschäftigt. Damit das Toast im Toaster nicht anbrenne, genüge ja ein
Infrarotsensor. In einem Park bei Rotterdam realisierte er ein Projekt
mit dem Ziel, einen verwahrlosten Park wieder attraktiv zu machen.
Niemand suchte diesen Park nachts auf, da er zu einem Treffpunkt der
lokalen Drogenszene geworden war. In den Park legte man einen
Dielenboden (80 x 80 m), in den an einigen Stellen Photosensoren
eingelassen wurden. Sobald jemand darüber ging, sendeten die Sensoren
Signale an mehrere Klangtürme. Durch diese Spielereien wurde das Gelände
zu einem Treffpunkt der Jugendkultur, denn jeder Skater von Rotterdam
habe Spaß daran, über die Dielen und die Sensoren zu rollen. Gegenwärtig
bereitet er mit seinem Artlab Prospekt die Steuerung von Bildschirmen im
öffentlichen Raum durch Handys vor. Das mobile Telefon soll dabei wie
die Fernbedienung eines Fernsehers funktionieren. Wer in naher Zukunft
an einer Bushaltestelle stehe und auf den Bildschirm am Haus gegenüber
starre, der könne durchaus das von ihm gewünschte Programm einstellen.
Denkbar seien auch Klanginstallationen, die über ein Handy gesteuert
werden können.
Um eine enge Verknüpfung von Technik und Kultur ging es Jürgen Engelke
von Triad. Triad ist eine interdisziplinär arbeitende
Projektgesellschaft von Ingenieuren, Architekten,
Medienwissenschaftlern, Technikern, Designern und Künstlern in Berlin.
Bisher verwirklichte man Projekte wie die Ausstellung "Der Traum vom
Sehen" im stillgelegten Gasometer Oberhausen und ist zur Zeit mit der
Planung des Bertelsmann Pavillons bei der Expo 2000 in Hannover
beschäftigt. Engelke schlug die Gründung eines Culture Media Lab in
Berlin nach amerikanischem Vorbild vor. Triad versuche, dieses Projekt
voranzutreiben. Offenbar möchte man damit eine Lücke auffüllen: die
Schnittstelle zwischen Kultur und Medien, eine Schnittstelle, an der
weit mehr geschehen könnte als eine Belieferung der Medien mit
Pressematerial. Klar sei, dass die Entscheider über den öffentlichen
Raum heute Politiker und Wirtschaftsbosse seien. Alle im Saal hätten
aber als Sinn- und Bedeutungsproduzenten innerhalb dieses Prozesses mehr
Verantwortung. Betrachte man die Gegenwart aus dem Rückspiegel einer
Zukunft von etwa 500 Jahren, werde der Epochenwandel, in dem wir uns
befänden, deutlich. In der Gegenwart müsse man sich ständig entscheiden
zwischen Be- und Entschleunigung, zwischen Grenzen und Entgrenzung und
einer Dateninflation, die auf nur ein Leben, einen Körper und eine Seele
trifft. Ungenutztes Potential sieht er mehr als genug. Als Verschwendung
erscheine ihm sogar die Ideenverschleuderung auf Konferenzen wie
Berlinbeta, weil sich letztlich doch nur ein Bruchteil davon realisiere.
Ein Culture-Media-Lab in Berlin könne eine übergreifende Zusammenarbeit
verschiedener Projekte ermöglichen. Berlin wäre plötzlich nicht mehr
Beta.
Der in Berlin-Mitte ansässige Verein für Kunst + Technik trägt die
Elemente seiner Projekte bereits im Namen. Einige ihrer Projekte konnten
bisher noch nicht realisiert werden. Dazu gehört das
"Stadtflussbadprojekt" an einem Arm der Spree direkt an der Berliner
Museumsinsel. Ein Schwimmbad soll hier entstehen. Schön klingt dazu die
Formulierung, die Jan Edler verwandte: beabsichtigt sei die
"Intensivierung des öffentlichen Raums". Das klingt einigermaßen
waghalsig, aber warum nicht. Nicht zu Ende geführt wurde das Projekt
<augment>. Es ist ein Spiel, mit dem in Zukunf nötige Fähigkeiten
trainiert werden können. In einer zunehmend medial geprägten Umgebung
muss man sich durch Bilder kämpfen können. Das wird durchaus wörtlich
genommen. Über die Leinwand des Grossen Vortragssaals des
Ludwig-Erhard-Hauses flimmerte ein die eigene bildliche Umgebung
bekämpfender Jackie Chan. Sein Schatten-Kung-Fu sorgte dafür, dass sich
der "attackierte Teil des Bildes" als Ausschnitt aus dem Bild
herauslöste, kurz vergößert auftauchte und dann verschwand. Jeder seiner
Bewegungen löste eine Aktion aus. Sehr amüsant, besonders wenn man sich
vorstellt, man könne diesen Jacki Chan durch das deutsche Fernsehen
jagen. In den Hamburger Deichtorhallen ist anläßlich der 1. Triennale
der Photographie gegenwärtig das Projekt "Multimind" zu sehen und
auszuprobieren. Wer mag, kann Photographien von Wegee, digitale
Photographie und die "Entdeckung des Unsichtbaren" mit dem Multi Mind
durchqueren. Die dazu benötigte tragbare Computereinheit ist einfach.
Sie besteht aus einem Laptop, einer Kamera und einem kleinen Screen, der
es erlaubt, das zu sehen, was andere Benutzer des Multiminds gerade
betrachten. Umgekehrt bekommt der Spielpartner, die Bilder zu sehen, die
man selbst gerade mit der Kamera "macht". Dazu sind im Foyer der
Hamburger Deichtorhallen 16 Monitore angebracht, auf denen die Bilder
aller Kameras zu sehen sind. Die Ausstellung läßt sich also durchaus
durch die Augen anderer als "prototypischer Ausstellungsrundgang"
betrachten. Meist bleiben die Geräte in Hamburg allerdings verwaist. Nur
selten wagen es Besucher, sich auf dem Weg durch die Ausstellung
"schwer" zu bepacken und geben ihre Berührungsängste gegenüber soviel
technischem Gerät auf. Am 5. September wird Kunst + Technik das Projekt
Multi Mind noch einmal vor Ort präsentieren.
Einigermaßen <spaced out> hörte sich an, was der Holländer Kas
Oosterhuis zu sagen hatte. Er schwärmte für amorphe, sich permanent
durch Datenfluss verändernde Objekte und Gebäude mit Fassaden, die wie
Membrane funktionieren. Einige dieser Objekte sehen aus wie die
Gamepods, die David Cronenberg in seinem demnächst in deutschen Kinos
anlaufenden Film "ExistenZ" als eine Art neue bioorganische Playstation
verwandte. "Hyperskin" und "Hyperbody" heißen dazu die Schlagworte, die
Oosterhuis benutzte. Er verblüffte die Zuhörer mit seiner Behauptung,
dass er selbstverständlich Häuser mit "liquider Architektur" bauen
könne. Ihre Außenhaut wäre permanent mit dem WWW verbunden und würde die
Daten quasi aufsaugen. Tatsächlich sei das nicht schwer: alles, was er
dazu benötige, sei die permanente Kalkulation der eingehenden Daten in
Echtzeit. So funktioniert dann möglicherweise die Archtiektur in einer
Gesellschaft-zur-Lieferung-sinnlich-erfahrbarer-Wirklichkeit-frei-Haus.
Das New Yorker Künstler Duo LOT/EK Architecture nimmt es nicht ganz so
ernst mit der Technik. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, findet
bei ihren Projekten Verwendung - ob nun elektronisch, organisch oder
künstlich. Wer zum Beispiel zu wenig Geld hat, um das eigene Büro mit
Schreibtischen einer teuren Designerfirma auszustatten, der kann auch
einfach ein paar alte Kühlschränke nehmen, sie so aneinander schieben,
dass durch das Öffnen einer Kühlschranktür eine Arbeitsplatte entsteht.
Sie lassen sich elektronisch so verdrahten, dass moderne Technik
problemlos intergriert werden kann. Nur eines läßt sich nicht
verhindern. Man ist eben umgeben von Kühlschränken. Nach ähnlichen
Prinzipien gingen LOT/EK auch bei der Lounging Tube, dem Indoor
Skateboard Park oder dem "shippable restaurant for Tokyo" vor. Dafür
wurde einfach ein handelsüblicher Container ausgestattet, der sich im
Prinzip an jeden Ort der Welt verfrachten läßt. Amüsant, sicher auch
eine gute Geschäftidee für jeden deutschen Restaurantbesitzer, der seine
Stammgäste nicht mehr sehen kann. Selbst Restaurantbesitzer können ab
sofort ein nomadisches Leben führen. Die Ideen von Ada Tolla und
Giuseppe Lignano jedenfalls sollte man genauer untersuchen. Nach einem
Informationssupergau müssen die Überlebenden ja eventuell mit den
verbliebenen Rest- und Fundstücken neue Häuser und neue Wohnräume bauen.
Wie schnell das gehen kann, zeigten unlängst die Bösenschwankungen in
Japan, Thailand oder Hong Kong. Denn tatsächlich handelt es sich ja bei
diesen Vorgängen um so etwas wie einen Informationsgau. Dass das Pendel
einmal so weit ausschlagen und selbst Börsenspekulanten in westlichen
Ländern in eine schwere Krise stürzen könnte, ist inzwischen ein offenes
Geheimnis. Dass Börsenvorgänge keine rationalen Vorgänge sind, nicht
minder. Also braucht man Tools, Werkzeuge zum Krisenmanagement, mit
denen man rechtzeitig das Geschehen an den Börsen erkennen und
eventuelle Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Das dreidimensionale virtuelle
Parkett der New Yorker Börse ist so ein Werkzeug. Mit seiner Hilfe wird
der Datenstrom (um nichts anderes handelt es sich hier) des New York
Stock Exchange in Echtzeit visualisiert. Trends werden sofort sichtbar,
entstehen beinahe greifbar vor den eigenen Augen. Realisiert wurde das
Projekt vom New Yorker Architekturbüro Asymptote. Hani Rashid berichtete
von den Verhandlungen mit den Börsianern, die den vermeintlichen Nutzen
einer Visualisierung des Datenstroms nicht zu erkennen vermochten. Erst
als man ihnen zeigte, dass man den Verlauf des Börsenchrashs von Hong
Kong noch einmal "nachspielen" könne (samt seiner Auswirkungen auf die
New Yorker Börse), ging den Börsianern ein Licht auf, wie wertvoll diese
Einsichten sein könnten.
Die eingangs gestellte Frage hallt nach: Architektur + Technik = Kunst ?