"Urbanes Treiben vs. Baukultur" / Aris Stamatis
Entourage, December 2001, pp. 11 - 13
"Urban Drift" beleuchtet im Rahmen der BERLIN BETA seit 3 Jahren neue Bewegungen in der Architektur. Im Mittelpunkt stehen bauliche oder konzeptionelle Statements unter Einflüssen wie technologischem oder gesellschaftlichem Wandel, Politik und Kunst.
"Urban Drift" versteht sich als Plattform, auf der Themen einer breiteren Öffentlichkeit näher gebracht und zur Diskussion gestellt werden.
Die Kuratorin Francesca Ferguson hat für "Urban Drift" 2001 17 Architekten und Designer nach Berlin eingeladen, die ihre Sicht städtischer Architektur im Kontext sozialer Entwicklungen anhand realisierter oder geplanter Projekte erläutern. Cedric Price als eröffnender Redner begegnet der Dimension Zeit seit den 60er Jahren mit dem damals sehr eigenwilligen Konzept, ihr nicht dauerhafte, statische Bauten entgegenzustellen, sondern Räume temporär zu gestalten. Sein radikaler Ansatz bezieht die vierte bestimmende Größe neben der dreidimensionalen Ausdehnung eines Objekts in die Gestaltung ein, statt sich ihr zu widersetzen und nach Dauerhaftigkeit zu streben.
Er berücksichtigt bereits beim Entwurf die Wandelbarkeit, den menschlichen Drang zur Veränderung, und schafft so dynamische Welten in einer Disziplin, in der die Statik ein unverrückbarer Pfeiler ist. In Berlin sprach er über "Delight, Economy, Speed, Time" als Triebkräfte moderner Architektur. "The charting of tomorrow in healthy (yummy!) time" - "Das Erfassen von morgen in gesunder (prima!) Zeit"-verweist auf eine "gesunde" und ungezwungene Rezeption von wirtschaftlicher Dynamik und schnellem Wandel von Umweltbedingungen.
Unter diesen von Cedric Price in seiner Keynote gesetzten Vorzeichen kreiste die eigentliche Konferenz um die drei Komplexe "Wild cities", "Designing the reality shift" und "Engaged autonomy".
"Wild cities" setzt sich mit spontaner, häufig unorganisierter Gestaltung öffentlichen Raumes auseinander. Eyal Weizman aus Tel Aviv, die Belgrader Architektin Milica Topalovic, das in Berlin arbeitende Duo Deadline Architects und der Bildhauer F.R.E.d. Rubin zeigten verschiedene Beispiele von urbanem Raum in rapidem Wandel. Bereits vor einigen Jahren begann der Israeli Weizman mit seinen Beobachtungen über die Konsequenzen des Palästina-Konflikts für die städtische Landschaft in israelisch besetzten Gebieten.
Den infrastrukturellen und baulichen Wildwuchs in der gesellschaftlichen Regenerations- und Reorganisationsphase dokumentierte Topalovic anhand der Entwicklungen der Belgrader Randbezirke. F.R.E.d. Rubin hat in Berlin die Innenwelt des Clubs WMF gestaltet, wobei er auf Objekte der DDR-Kultur zurückgriff, angefangen bei Möbelstücken bis zu Fassadenelementen.
Das WMF ist nur ein Beispiel Berlins für den Umgang mit den Auswirkungen des Mauerfalls. Durch mehrere Umzüge hat das WMF sich nicht nur örtlich verändert, sondern auch ein sehr lebendiges Gesicht bekommen, das zwar sein Profil bewahrt hat, sich aber dennoch dynamisch verändert. Matthew Griffin und Britta Jürgens, die beiden Deadline Architects, entwerfen Konzepte zur temporären Nutzung öffentlicher Leerflächen - Grundstücke, die auf Bebauung warten, nicht genutzte Parkplätze -, um sie auch in den Phasen der "Nichtnutzung" dem urbanen Leben zu erschließen. Insgesamt weisen alle zitierten Beispiele und Projekte auf die Notwendigkeit, architektonische Prinzipien in Frage zu stellen und radikal neu zu denken.
Stadtentwicklungspolitik und Baukultur sind zwei Stichwörter, die abseits von den Anglizismen der neuen Wirtschaft die Themen von "Urban Drift" übertiteln könnten. Sie verdeutlichen auch, dass zwar die Antworten der Symposiumsteilnehmer neu sind, die Fragen aber keineswegs. Und diese beiden vergleichsweise biederen Begriffe verweisen auch auf eine weitere Frage:
In welcher Form werden diese Themen eigentlich von denen behandelt, in deren unmittelbaren Verantwortungsbereich sie fallen? Bund, Länder und Gemeinden? Neben der Chance, als Bauherren Maßstäbe zu setzen, sind sie ja auch stadt- und landschaftsplanerisch in der Pflicht.
Trotzdem kann man zu Recht den Eindruck bekommen, dass man dort den Bierce'schen Zukunftsbegriff verficht:
"Morgen: der Zeitpunkt guter Taten und eines besseren Lebenswandels. Beginn der Glückseligkeit."
Schon im Oktober 2000 stellte Reinhard Klimmt Handlungsbedarf fest, nachdem die angeregten Diskussionen der 70er verstummt waren, und schob die "Initiative Architektur und Baukultur" an. Ziel war es, zusammen mit den betroffenen staatlichen Stellen, Architekten, Stadtplanern, Ingenieuren und Künstlern ein Programm zu entwickeln, das einerseits die Bedeutung dieser Themen widerspiegelt, andrerseits konkrete Maßnahmen vorschlägt, um Stadtplanung und Architektur auf ein international konkurrenzfähiges Niveau zu heben.
Ende 2001 wurde auf dem Kölner Kongress "Baukultur in Deutschland" ein erster Zwischenbericht vorgelegt, erstellt von dem Hamburger Architekturtheoretiker Gert Kähler. Herausragend aus den Vorschlägen ist allenfalls das "Recht auf eine gut gebaute Umgebung", das als staatliche Maxime gelten soll. Der Rest ist wenig überraschend: Qualität und junge Architekten fördern, staatliche Zuschüsse unter gestalterischen Gesichtspunkten vergeben, ein regelmäßiger Baubericht, ein weiterer Architekturpreis, Baukultur als Schulfach und die Wiederbelebung der Zweiprozenthürde, die die Summe für Kunst am Bau bei einem Projekt überspringen muss. Kein kritisches Wort über den größten Bauträger und Grundstückseigner der Bundesrepublik, die öffentliche Hand, die auch abseits von Prestigebauten Vorbildfunktion übernehmen muss.
Wobei gerade diese Gebäude-überwiegend öffentliche Einrichtungen - aufgrund ihrer Natur eine ideale Spielwiese wären, um zu zeigen, wie moderne und gesellschaftlich verantwortliche Architektur aussehen könnte.
Vergleicht man beide Kongresse, kann man nur das Paradoxon formulieren: "Es geht um Fragen, die offensichtlich zu elementar sind, um sie der Politik zu überlassen." So wiederholt sich bei "Urban Drift" und dem Kongress "Baukultur in Deutschland" das Kleine im Großen, nämlich die gleichen Gegensätze, wie sie viele Teilnehmer des Berliner Symposiums formuliert haben: Dynamik gegen Statik, Flexibilität gegen Erstarrung oder um den bis zur Banalität totzitierten Heraklit ein weiteres Mal zu bemühen: "Alles fließt."
Gut, wenn man es erkennt.
Das jährlich in Berlin stattfindende Symposium "Urban Drift" dient als Diskussionsplattform für neue theoretische Ansätze in Architektur und Stadtentwicklung ebenso wie zur Präsentation interdisziplinärer Projekten bildender und darstellender Künstler, Designer, und Architekten.
Info Francesca Ferguson
Die Britin Francesca Ferguson kam zum Fall der Berliner Mauer in die ehemals geteilte Stadt und arbeitete zunächst 3 Jahre als Korrespondentin, Dokumentarjournalistin und Nachrichtenredakteurin für ABC, später auch für andere Sender wie BBC, Rai, Spiegel TV und Channel 4. Vor einigen Jahren verlagerte sich ihr Arbeitsschwerpunkt auf die Planung und Organisation von Kunstprojekten. Heute ist Francesca Ferguson hauptsächlich als Kuratorin für internationale Kunst- und Medienprojekte tätig. In den Jahren 2000 und 2001 betreute sie als Kuratorin die BERLINBETA mit den Tageskonferenzen URBAN DRIFT, DESIGNUPGRADE (2001) und THE INTERFACE EXPERIENCE (2000).
Als Moderatorin leitete sie Podiumsdiskussionen im Rahmen der Hamburger Dialoge und der Grazer Biennale.
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